KOLLISION UND BLOCKEN: DICKE LUFT ZWISCHEN PORSCHE UND TOYOTA

Die Bandagen in der Langstrecken-Weltmeisterschaft (WEC) werden härter: Toyota kämpft mit einer äußerst ungünstigen BoP-Einstufung immer verzweifelter um seine WM-Chancen, während Porsche-Pilot Kevin Estre Ryo Hirakawa absichtliche Behinderung vorwirft. In diese Gemengelage mischt sich auch noch eine Durchfahrtsstrafe auf Bewährung gegen Kamui Kobayashi.

Im Kampf um die Fahrer-Weltmeisterschaft hat der Unfall zwischen dem Toyota #7 (Conway/Kobayashi/de Vries) und dem Porsche #5 (Campbell/Christensen/Makowiecki) in Fuji Kobayashi und Nyck de Vries (Mike Conway hat Le Mans verpasst und daher weniger Punkte) praktisch aus dem Rennen geworfen. Die Herstellerwertung ist aber nach wie vor völlig offen, und hier kommt eine Bewährungsstrafe ins Spiel.

Die Sportkommissare sahen die Schuld für den Unfall mit dem Porsche #5 eindeutig bei Kobayashi. Sollte sich der Ex-Formel-1-Pilot (nicht seine Teamkollegen) beim Finale auf dem Bahrain International Circuit einen "ähnlichen Vorfall" zuschulden kommen lassen, wird die Durchfahrtsstrafe sofort fällig. Sowohl Kobayashi als auch Toyota-Technikchef David Floury übernahmen nach dem Rennen die Verantwortung für den Vorfall.

Kobayashi rechtfertigt seine von außen eher verzweifelt wirkende Attacke vor Kurve 3 so: "Das zweite Safety-Car hat uns in eine schwierige Situation gebracht. Ich kämpfte einige Runden mit dem Porsche #5. Unser fehlender Speed auf der Geraden war offensichtlich und so versuchte er, uns zu Beginn der Runde [wo es auf Topspeed ankommt] zu überholen."

"Beim Einlenken in Kurve 3 sind wir beide gleichzeitig in die Kurve gefahren und konnten eine Berührung nicht vermeiden. Leider hatten wir dann noch eine weitere Berührung und der Schaden war zu groß, um ihn zu reparieren. Es war definitiv nicht unser Tag und es tut mir leid für unsere heimischen Fans, die uns sehr unterstützt haben."

Matt Campbell meint zur Kollision: "Es ist klar, dass er den Fehler gemacht hat. Ich war schon komplett vor ihm. Es gab keine Möglichkeit zum Überholen und er ist mir einfach reingefahren." Nach Robert Kubicas Bowling-Einlage zu Beginn des Rennens war es bereits das zweite Mal, dass der Porsche #5 umgedreht wurde.

Estre: Hirakawa hat mich überall blockiert

Doch das war nicht die einzige strittige Szene zwischen Porsche und Toyota in diesem Rennen. Kevin Estre aus dem siegreichen Porsche #6 (Estre/Lotterer/L. Vanthoor) unterstellte dem Toyota #8 (Buemi/Hartley/Hirakawa) absichtliches Blockieren beim Überrunden nach einem Boxenstopp. Ryo Hirakawa erhielt für diese Aktion eine Durchfahrtsstrafe.

"Der Toyota #8 kam mit kalten Reifen raus, zumindest auf einer Seite", erklärt der 35-jährige Porsche-Werksfahrer. "Er war etwas langsamer und stand zur Überrundung an." Der Rundenabstand kam zustande, weil der Porsche noch den letzten Boxenstopp vor sich hatte.

"Er hat mich nicht überholen lassen, sondern überall blockiert. Ich musste ihn [im Zweikampf] überholen, dann hat er mich wieder überholt und so weiter. Es war ziemlich heftig, wir hatten sogar eine Berührung in Kurve 15." Diese Szene war die einzige der gesamten Episode, die in der TV-Übertragung zu sehen war, als Estre Hirakawa von der Strecke drängte.

Die Durchfahrtsstrafe kam den Toyota #8 am Ende teuer zu stehen. Kurz vor Schluss lag die #8 auf dem dritten Platz, fiel aber durch die Strafe auf P10 zurück - ein Verlust von 14 Punkten, der Toyota auch die WM-Führung bei den Herstellern kostete. Dass die #7 erst durch Strategiepech und dann durch den Unfall zurückfiel, war zum Zeitpunkt der Überrundung noch nicht absehbar.

Der Porsche-Pilot streut Salz in die Wunde: "Sie werfen alles Mögliche auf uns, aber wir sind dieses Jahr stärker. Sie versuchen es immer wieder, aber irgendwie haben sie keinen Erfolg. Das ist gut für uns."

Toyota kritisiert Strafe gegen Hirakawa hart

Hirakawa wiederum kritisiert, dass Estre nicht bestraft wurde - und verrät damit vielleicht ungewollt den Hintergedanken seines Zweikampfes, nämlich die #6 zu einem Foul zu provozieren: "Ich war mir bewusst, dass ich gegen die #6 kämpfe. Als ich sie im Rückspiegel sah, habe ich mich darauf konzentriert, die Reifen auf Temperatur zu bringen."

"Ich wollte es ihm natürlich nicht leicht machen. Und dann hat mich die #6 in Kurve 15 einfach von der Strecke gedrängt. Das war alles. Ich habe dann eine Strafe bekommen, weil ich blaue Flaggen ignoriert habe. Ich glaube nicht, dass ich etwas falsch gemacht habe."

"Als ich hörte, dass der Vorfall zwischen der #6 und der #8 untersucht wird, dachte ich, dass die #6 vielleicht eine Strafe bekommt, weil sie mich von der Strecke gedrängt hat. Das war dann schon eine Überraschung [dass ich die Strafe bekommen habe]."

Auch Toyota-Technikchef David Floury ist über die Strafenpolitik verärgert: "Wieder einmal müssen wir die Entscheidungen gegen uns hinterfragen. Man bekommt eine Strafe, wenn man zwei Sektoren lang eine Blaue Flagge ignoriert". Ähnlich argumentierte Dries Vanthoor nach seinem Unfall mit Robert Kubica in Le Mans. Damals wurde Vanthoor auch nicht bestraft.

Aufgrund der früheren Safety-Car-Phasen im Rennen waren die Hypercars nicht auf ihrer normalen Strategie unterwegs, zu jeder vollen Stunde zu stoppen. Toyota versuchte, beide Fahrzeuge wieder in dieses Zeitfenster zu bringen, wurde aber von der letzten SC-Phase, der ein virtuelles Safety-Car vorausging, kalt erwischt. Dass dieses VSC kommen würde, war zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt.

"Wir haben bei der Strategie einen Offset gemacht und den Stint verkürzt, um am Ende des Rennens einen vollen Stint mit frischen Reifen fahren zu können", erklärt Floury. "Wenn man den Offset berücksichtigt, waren wir nur 25 bis 30 Sekunden hinter der #6 und nicht eine ganze Runde."

"Wir bekamen die erste blaue Flagge in Kurve 8 [eine Vollgas-Rechtskurve im zweiten Sektor zwischen der alten Haarnadel und der Dunlop-Kehre, die den dritten Sektor einleitet] und Estre drängte uns in Kurve 15 von der Strecke."

"Wir haben ihm sogar Platz gelassen, damit er vorbeifahren konnte, er hat uns von der Strecke gedrängt und dann haben wir eine Strafe bekommen, weil wir ihn angeblich berührt haben. Das würde ich gerne verstehen, denn solche Konsequenzen haben wir in der jüngeren Vergangenheit nicht gesehen."

"Es wird dieses Jahr immer schwieriger. Ich habe in Austin mehr Strafen wegen gelber Flaggen gesehen als in den vergangenen vier Jahren zusammen. Ich bin nicht glücklich, wie die sportlichen Aspekte hier gehandhabt werden."

Toyota-BoP: Der lange Schatten von Sao Paulo

Das liegt auch daran, dass der Toyota GR010 Hybrid in der Balance of Performance mittlerweile aus allen Fenstern herausfällt. Vom Saisonauftakt in Katar bis zu den 24 Stunden von Le Mans lagen alle Hypercars - den Peugeot 9X8 2024 mit seiner vorsichtigen Debüteinstufung in Imola und Spa ausgenommen - in einem Fenster von 0,064 Kilogramm pro PS.

Seit Le Mans hat sich der Abstand deutlich vergrößert, vor allem im Fenster unter 250 km/h, das auf allen Rennstrecken außerhalb von Le Mans entscheidend ist. Auf dem Fuji Speedway hatte der Toyota bereits 0,090 Kilogramm pro PS mehr als der Porsche 963, gegenüber dem Cadillac V-Series.R waren es 0,140 und gegenüber dem Lamborghini SC63 sogar 0,150 Kilogramm pro PS mehr.

Vor allem der Kantersieg bei den 6 Stunden von Sao Paulo dürfte die BoP-Macher in Panik versetzt haben. Seitdem ist das Leistungsgewicht des Toyota völlig aus dem Ruder gelaufen. 1,597 Kilogramm pro PS waren die ungünstigste Einstufung, die ein Hypercar jemals gehabt hat.

Toyota muss mit seinen Worten in der Kommunikation sehr vorsichtig sein, denn über Teamchef Rob Leupen schwebt seit einem Interview mit der niederländischen Ausgabe von Motorsport.com, einem Schwesterportal von Motorsport-Total.com im Motorsport Network, ebenfalls das Damoklesschwert einer Bewährungsstrafe in Höhe von 10.000 Euro.

Sebastien Buemi, Startfahrer der #8, verlor beim Start eine Position an den BMW #15 (D. Vanthoor/Marciello/Wittmann). "Ich hatte keine Chance, vor Kurve 1 irgendetwas auszurichten, weil die anderen Autos viel besser beschleunigt haben", so Buemi. Auch Brendon Hartley meint: "Wir hatten nicht die Pace der Konkurrenz."

Nyck de Vries bleibt verklausuliert: "Das ist eine harte Pille für das gesamte Team. Das ganze Wochenende war hart für uns. Wir wussten, dass unsere Pace nicht gut genug sein würde, um an der Spitze mitzukämpfen, wenn man sich unseren Speed ansieht."

Toyota kann den Konstrukteurstitel beim Finale in Bahrain noch aus eigener Kraft gewinnen, denn es gibt eineinhalbfache Punkte. Viel wird beim Finale von der Einstufung der Boliden abhängen.

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